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Ambelakia (Ampelakia) – eine europäische Utopie

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2016-08-19 2017-05-07 19.08.2016

Wer den Ort Ambelakia heute in Griechenland sucht, wird Mühe haben. Obwohl nur wenige Kilometer vom bereits seit der Antike gerühmten mythischen Tempe-Tal und der heute verkehrsreichen Autobahn Thessaloniki-Athen entfernt, liegt dieser Berghort verschlafen am Hang des Ossa, gegenüber der wunderbare Blick auf den Götterberg Olymp. Vor 200 Jahren lebten hier 6000 Menschen und es gab eine reiche kulturelle Vielfalt, die in ihren verwirklichten Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in dieser Form nirgendwo im übrigen damaligen Europa ihresgleichen fand. Wie war dies möglich?

Fast 30 Jahre lang wurde hier das erste erfolgreiche Modell einer Handels-, Agrar- und Handwerker-Genossenschaft praktiziert. Der französische Diplomat Felix de Beaujour schreibt begeistert in seinem Werk Tableau du commerce de la Grece von einem Besuch 1793 in Ambelakia: „Es gleicht durch seine Tätigkeit mehr einem holländischen Ort, als einem Dorfe in der Türkei. Dieses Städtchen verbreitet durch seinen Gewerbefleiß Bewegung und Leben über die Region hinaus und erzeugt einen unermesslichen Handel, der durch tausend Fäden Deutschland mit Griechenland verbindet. Seine Bevölkerung hat sich in 15 Jahren verdreifacht, heute zählt es 4000 Seelen, und diese ganze Bevölkerung lebt von der Färberei, wie ein Bienenschwarm in seinem Stock. Man kennt in diesem Dorf weder Laster, noch Verrat, noch Müßiggang, die Herzen der Ambelakioten sind rein und ihre Gesichter sind glücklich." Dieser französische Adlige, ehemals Konsul in Thessaloniki, der im selbst gewählten Exil während der großen Revolution auf bessere Zeiten hoffte, war kein sozialer Utopist, sondern ein Realist mit wachem Geist. In fünfjähriger Arbeit schrieb er eine hervorragende Analyse über den Handel mit dem osmanischen Reich. Sein Besuch in Ambelakia war auch ein Fall von Wirtschaftsspionage. Er wollte das streng gehütete Geheimrezept der Rotfärbung von Baumwolle erforschen, um den heimischen Textilmanufakturen einen Vorteil und sich wieder einen diplomatischen Rang zu verschaffen. "Hier also wurde damals das berühmte türkische rote Baumwollgarn hergestellt und in alle Teile Europas vertrieben", berichtete er erstaunt, „jedermann auch Selbst die Kinder sind mit der Färberei beschäftigt: während die Männer das Garn färben, spinnen und bereiten es die Weiber. Man findet hier 28 Fabriken, in denen jährlich 2500 Ballen Garn gefärbt werden. Diese gehen sämtlich nach Deutschland, und zwar über Pest und Wien nach Leipzig, Dresden, Anspach, Bayreuth, Hamburg etc. ... In den meisten dieser Städte haben die Kaufleute von A. eigene Kontore, worin sie das Garn unmittelbar an die Manufakturisten absetzen. Man hat auch in Europa vielfältige Versuche gemacht, das Baumwollgarn rot zu färben, ungeachtet dessen hat man die rote Farbe, die dem türkischen Garne aus der Levante eigentümlich ist, noch nicht nachmachen können ..."

Aufgrund der klugen Erkenntnis, dass durch schädliche Konkurrenz viele Färbereibetriebe im Ort und ihre Handelsposten im Ausland unprofitabel arbeiten würden, weil ausreichendes Kapital für Verbesserungen der Landwirtschaft und der Betriebe und zur Sicherung der langen Transportwege fehlte und möglicherweise durch die Beeinflussung von Ideen der Aufklärung, beschließen die einflussreichsten Großkaufleute 1780 eine völlig neue, gerechte und pragmatische Form gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese „Utopie" einer freien und gerechten Wirtschaft handelt nach außen wie eine erzkapitalistische Handelskompanie, innen leistet sie sich dagegen fast ein demokratisch-sozialistisches Modell.

Die Koine Syntrophia, wie die Gemeinsame Gesellschaft sich dann 1795 nennt, gibt sich in Ambelakia eine fortschrittliche 2. Verfassung, die vieles vorwegnimmt, was die revolutionäre Verfassung Frankreichs noch nicht bedachte und erst die französischen Sozialutopisten forderten: z.B. das Recht auf Ausbildung, eine Altersrente, eine Kranken- und Armenfürsorge, die ökonomische Teilhabe aller in Form von Aktien, am erarbeiteten Mehrwert und die damit verbundene Mitentscheidung für alle, Mann, Frau, ja selbst Kind. Die Regeln der Teilhaber sind streng. Nur Angehörige aus Ambelakia können Anteile zeichnen und nur eigenes Kapital darf verzinst werden. Kein fremdes Kapital darf aufgenommen werden. Ein Austritt aus der Gesellschaft kann nur in Ambelakia erfolgen und nur zwei Bevollmächtigte der Genossenschaft dürfen die Bücher einsehen. Sollte ein Mitglied Verwirrung, Unruhe und Schaden verursachen, soll er von der Genossenschaft ausgeschlossen werden und der von ihm bedingte Schaden ihm angerechnet werden und er soll sein Kapital nur nach der nächsten Bilanz erhalten, wenn er eine schriftliche Erklärung abgibt, dass damit alle seine Forderungen abgegolten sind. Dafür wurde dann das eingelegte Kapital mit garantierten 12% per annum verzinst. Sollte aber ein Genösse von seinem Kapital z.B. aus persönlicher Not etwas herausnehmen müssen, wurden ihm die Zinsen rückwirkend abgezogen und sein eigenes geborgtes Kapital mit 12 % verzinst. Auch sollte jede Aktie mit 100 Piastern jährlicher Abgabe für die Sache der griechischen Nation belastet werden. In 23 Paragraphen wurde dieser Vertrag feierlich 1805 in Wien mit den Worten unterzeichnet:
„... dass wir sämtlichen 52 Teilhaber mit gemeinschaftlicher Einwilligung beschlossen haben, eine Gemeinschaft und Bruderschaft zwischen uns zu errichten. Möge der Allerhöchste dieselbe segnen, begleiten und bis auf unsere Kindeskinder fortpflanzen. Wir schwören, weder aus Neigung noch aus Hass, den Würdigen für unwürdig und den Unwürdigen für würdig zu halten. Wir schwören, die Geheimnisse der Genossenschaft nicht zu verraten, das allgemein Beste nicht zu benachteiligen, oder der Sozietät Schaden zuzufügen. Wer eidbrüchig ist, soll der Fluch des Allmächtigen ewig verfolgen, er soll kein Glück und Segen auf Erden genießen, bei Christus unserem Herrn, Amen!"
Dieses Dokument und weitere 83 Akten entdeckte ich zu meinem größten Erstaunen im Archiv des Merkantilgerichts in Wien, seit 180 Jahren verschnürt und versiegelt. Die Erfolgsgeschichte einer Aktiengesellschaft ist jedoch noch keine Gesellschaftsutopie. Was war also das Herausragende an der Syntrophia?

Der Überschuss aus den Geschäften wird nach Abzug aller Investitionskosten und der Dividende für Soziales, Bildung und Kultur verwandt. So entstehen zunächst Kirchen und ein Bischofspalast, dann eine Bibliothek und eine eigene Universität, das Ellino-Mouseion, aus der berühmte Wissenschaftler, Dichter und Politiker hervorgingen wie Neophytos Doukas, Evgenios Voulgaris, Grigorios Konstandas und - nicht zu vergessen - Rigas Velestinlis, den Nationalhelden Griechenlands. Rigas war ein Visionär einer demokratischen multiethnischen Balkanrepublik, der Megalos Idea. Die Bruderschaft von Ambelakia soll zu seinen nachhaltigsten Förderern gehört haben und den Druck der Carta des Rigas mitfinanziert haben. Diese Landkarte sollte zur Befreiung Griechenlands beitragen. Er wurde in Triest verhaftet, nachdem er versuchte, diese Drucke nach Epirus zu schmuggeln. Die Österreicher lieferten ihn dann später seinen osmanischen Schergen in Belgrad aus. Dort wurde er ermordet und dadurch der erste Märtyrer der griechischen Befreiung. Rigas war auch ein Propagandist der neugriechischen Sprache und Herausgeber und Übersetzer zahlreicher Bücher und Schriften der Literatur und Wissenschaft, die in Wien gedruckt und verlegt wurden.

Überhaupt waren Bücher die Leidenschaft reicher Griechen. Der dänische Gelehrte Jacob Jonas Björnstahl war schon 1779 beeindruckt von der Gelehrsamkeit der Bürger Ambelakias:
„Ich traf hier verschiedene Personen, die sich mehrere Jahre hindurch in den europäischen Städten aufgehalten haben, und das Deutsche vollkommen sprachen und schrieben. Es gibt hier verschiedene bemittelte Kaufleute, und diese haben mehr feine Lebensart, als man es gemeindlich antrifft. Es ist hier sehr teuer, besonders muss man für das Brot viel bezahlen; der Wein ist aber nicht teuer. Von diesem Weine, der hier im Lande wächst, und sehr gut ist, kostet das Oka nicht mehr als zwei Para. Hier oben sind viele Weinberge, sie sind alle nach Norden und Westen, wie es der Lage des Berges entspricht, angelegt. Der Name Ambelakia bedeutet im neuen Griechischen einen kleinen Weinberg. Herr Perini ging mit mir zu dem hiesigen Daskalos, oder Professor der griechischen Sprache, namens Georgios Triantafilos. Dieser Mann hat auf dem Berge Athos unter dem berühmten Eugenius studiert; er versteht auch das Lateinische. Bei ihm sah ich auch die in Europa herausgekommenen schönen Ausgaben der griechischen Autoren an."

Die Ambelakioten hatten in Wien mehrere Bücher in neugriechischer Sprache finanziert, u.a. die Grammatik der neugriechischen Sprache von Anthimos Gazis. Auch ein eigenes kleines Theater und Orchester wurde damals von der Gemeinde unterhalten. Das Kulturleben und die Bildungs-Einrichtungen waren im Ort vielleicht auch deshalb zu solcher Blüte gelangt, weil die Jugend aus dem Ort an den damals bedeutendsten Universitäten wie Wien, Leipzig, Jena oder Paris studieren konnte und sie bei ihrer Rückkehr anspruchsvolle Unterhaltung erwartete. Der preußische Diplomat Jakob Levi Salomon Bartholdy berichtefvon seinem Besuch in Ambelakia 1803:
„Wir erhielten auch Besuche von mehreren andern Griechen, die alle Deutsch sprachen, und blieben lange mit ihnen zusammen. Am nächsten Morgen lernte ich den Arzt des Ortes kennen, Georgios Sakellaris, einen Mann von Kenntnissen, der in Wien studiert und mehrere Bände der „Reisen des jungen Anacharsis" ins Neugriechische übersetzt hatte. Wir trafen bei ihm auch wieder die jungen Drossi, welche in Leipzig und Jena lange Philosophie studiert hatten und mit Sehnsucht an diese glücklichen Universitätszeiten zurückdachten.
Der Schlendrian und die Einförmigkeit ihres Vaterlandes schien ihnen unerträglich, nachdem sie mehrere Jahre im Ausland Freiheit und Annehmlichkeiten gekostet hatten, der sie so dort ganz entbehrten. Man habe sie in der Fremde mit Liebe und einer Art Auszeichnung behandelt sobald man gewusst, dass sie Griechen seien; jetzt müssten sie als solche den Übermut und Stolz eines jeden Türken scheuen, was sie besonders demütige. Sie haben mit mehreren Freunden in Ambelakia ein kleines Liebhabertheater errichtet, wo man, wie in der ganzen übrigen kultivierten Welt, Kotzebues Menschenhass und Reue aufgeführt, darüber geweint, und es getadelt hat." Bartholdy hielt sich zugute, einer der ersten Deutschen zu sein, die damals das ersehnte Griechenland tatsächlich sahen und beschrieben. Der Berliner jüdische Gelehrte Jakob Levi Salomon Bartholdy wurde am 13.5.1779 als Sohn des Bankiers Jehuda Levi Salomon geboren, konvertierte zum lutherischen Glauben und studierte ab 1796 in Königsberg. Seine Reise nach Griechenland war eine Studienreise aus Laune. Er trat dann 1813 in den Dienst des Staatskanzlers von Hardenberg und begleitete ihn zu den Pariser Verhandlungen und zum Wiener Kongress. Danach wurde er preußischer Generalkonsul in Rom und bewohnte dort die Casa Bartholdy. Der Maler und Radierer Georg Christian Gropius, der schon Wilhelm Humboldt begleitet hatte, war sein Reisegefährte.
Zwischen 1786 bis 1802 gelangt die Genossenschaft zu ihrem Höhepunkt. Die Geschäftsverbindungen reichen von Alexandria, Smyrna über Istanbul und Odessa im Osten, bis nach London, Amsterdam, Hamburg, Marseiile, Paris, Lyon und Rouen im Westen. Auf allen Märkten Europas ist das begehrte türkische Garn aus Ambelakia zu finden.
Beaujour kommentiert: „Die glücklichste Harmonie regierte lange Zeit in der brüderlichen Aktiengesellschaft. Alle Mitglieder haben mit Fleiß zu ihrem Erfolg beigetragen. Die Direktoren waren uneigennützig. Die Handelsagenten eifrig, die Arbeiter fügsam und hart arbeitend. Überall unter den Arbeitern und in den Färbereien wurde die Arbeit mit Sorgfalt und Leichtigkeit gemacht, alle Fabriken waren erfolgreich. Die Kompanie, welche jeden Tag ihre Profite vergrößerte, bewegte ein ungeheures Kapital. Ihre Warensendungen vergrößerten sich schnell und erzielten einen Gewinn von 60, 80, selbst 100 %. Die Dividende wurde dann unter den Anteilseignern gerecht aufgeteilt."

Aus dem privaten Reichtum der Großaktionäre, der nicht reinvestiert oder akkumuliert werden kann, entstehen herrlich ausgestattete Familienclanhäuser, von epirotischen Baumeistern aus Stein und Holz erbaut, so genannte „Archontika Spitia". Im Stil des byzantinischen Rokoko werden von einheimischen Kunsthandwerkern reich bemalte und kunstvoll geschnitzte Decken und Wandvertäfelungen gefertigt. Große, im naiven Stil gemalte Landschaftsvedouten und üppiger Blumendekor schmücken die Wände. Farbenprächtige Stuck-Glasfenster verbinden lichtvoll die Innenräume und lassen sie schwerelos ineinanderfließen. Eines dieser Herrenhäuser ist das des Direktors Georgios Schwarz. Kein anderer wie er verkörpert das erfolgreiche Prinzip Ambelakias. Schwarz, eigentlich Mavros, er nahm einen deutschen Namen an, war ein einfacher Bürger der Stadt aus armen Verhältnissen und wurde von der Genossenschaft aufgrund seiner Fähigkeiten, nicht seines Standes, zum leitenden Direktor gewählt. Er stand ihr von den Blütejahren bis zum Ende vor. Sein Haus war auch gleichzeitig die Bank und das Versammlungshaus der Genossenschaft.
Dies ist heute ein Museum und das einzige restaurierte Gebäude der alten Stadt. Umgeben von einer hohen Mauer erhebt sich wehrhaft ein mächtiger Steinquader. Kleine, vergitterte Fenster und Schießscharten sind in die dicken Mauern eingelassen. Im Erdgeschoss, das nur über eine dicke Eichentüre zu erreichen ist, fand der Handel statt. Mit einer großen Balkenwaage wurden die Liefermengen festgestellt und registriert. Daneben der von drei Armatolen immer scharf bewachte Tresorraum und im Keller die Speisen und Weinvorräte. Diese Geschosse bildeten die Basis des Genossenschaftshauses. Sie sind schlicht und zweckmäßig ausgestattet. Darüber im 1. Stock die Büroräume und der tägliche Wohnbereich des Direktors und seiner Familie. Komfort und Schlichtheit halten sich die Waage. Alle Wände sind holzgetäfelt und mit Einbau-Schränken versehen. Manche dienen als Waffenversteck und zur Tarnung eines Fluchtganges. Steigt man nun über eine breite Holztreppe in den obersten Stock, der ganz in Holz gebaut ist, stockt einem der Atem angesichts der prächtigen Ausstattung mit Malereien, Schnitzwerk, Stuckverzierungen, Kunstglasfenstern und damals wohl kostbaren Teppichen und Sofas. Wir befinden uns in den Repräsentations- und Versammlungsräumen der Genossenschaft. Die lichte Transparenz dieser Räume verdeutlicht die Weltoffenheit dieser Kooperative in einzigartiger Weise, die in vollkommener Harmonie mit der Schönheit der umgebenden Natur stand. Es war die Zeit, in der die Herzen der Ambelakioten rein und die Gesichter glücklich waren, wie Beaujour schrieb.
Die Schwarz-Kompanie hatte damals 10 Millionen Goldfrancs bei ihrer Hausbank in Wien deponiert. Längst kamen die Einnahmen nicht nur aus dem Garnhandel. Wie Multis bewegten sie Kapitalströme durch die europäischen Länder und erzielten durch Spekulationsgeschäfte sagenhafte Gewinne. Was jedoch immer unwahrscheinlicher wurde, war die Basis ihres Reichtums. Nichts entsprach mehr den anfänglich günstigen Bedingungen für einen prosperierenden Garnhandel.
Ein britischer Diplomat, D. Urquart, besuchte in der Spätzeit um 1830 Ambelakia und wurde dort nicht sehr freundlich aufgenommen. Was die Ambelakioten verärgerte, war nicht seine neugierige Person, sondern seine Nationalität. Denn die Briten waren inzwischen ihre gefährlichsten Konkurrenten im Textilhandel. Andererseits stellte er dennoch sehr bewundernd fest: "Was sollen wir nun von dem Charakter einer Verwaltung sagen, die ein unbekanntes, schwaches und unbedeutendes Dörfchen zu solcher Höhe des Wohlstandes brachte? Dieser Ort hatte anfangs keine größeren Ländereien, noch Handelsverbindungen, lag nicht an einer Handelsstraße noch am Meer mit einem Hafen, keine Manufakturen in der Nähe und keine bedeutende Handelsstadt. Zu diesem weltabgeschiedenen Ort führte ein steiler Ziegenpfad über Abgründe. Sein Gewerbefleiß wurde nicht durch neue Entdeckungen, nicht durch chemische oder mechanische Erfindungen gehoben: Das einzige Geheimnis seines Aufblühens bestand in der trefflichen Festlegung der Interessen, in der freien Wahl seiner Beamten, in der unmittelbaren Nachrechnung der Ausgaben und folgenderweise in der Vereinigung der Interessen durch den gemeinsamen Druck der Lasten und in der Vereinigung der Sympathien durch das sanfte Fortwirken des einfachen Mechanismus."
Urquart sah darin eine heilsame Lehre für die „dogmatische Frivolität seines Zeitalters".
"Ambelakia versorgte das gewerbefleißige Deutschland, nicht durch die Vervollkommnung seiner Maschinen, sondern durch den Fleiß der Spindel und des Spinnrockens. Es lehrte Montpellier die Färbekunst, nicht experimentierend vom Katheder herab, sondern weil Färben dort ein Geschäft des Hauses und der Küche war, täglicher Beobachtung in jeder Färberküche unterworfen. Durch die Einfachheit und die Rechtlichkeit, nicht durch die Wissenschaft seines Systems, hielt es Handelsgesellschaften eine Vorlesung und gab ein in der Handelsgeschichte Europas einzigartiges Beispiel einer durch Kapital und Arbeit verbundenen, geschickt, sparsam und glücklich verwalteten Kompanie, in der die Interessen des Fleißes und des Vermögens gleichmäßig vertreten sind."

Das goldene Zeitalter währte jedoch nicht lange. Denn kritisch merkte auch schon Beaujour an:
"Aber dieser Überfluss von Reichtum, welcher die Gesellschaft zu stärken schien, hat auch Unordnung und Verwirrung verursacht. Die Direktoren wurden sehr reich und anspruchsvoll, die Armen bereicherten sich auf ihre Art und wollten nicht mehr gehorchen. Die Arbeiter vertauschten das Weberschiffchen mit der Feder und wollten lieber verkaufen als färben und spinnen. Alle wollten regieren. Die Versammlungen wurden lautstark, die Arbeiter, welche die zahlreichsten waren, dominierten die Versammlung und es wurde nicht möglich, einen vernünftigen Vorschlag zu machen. Die Meinungen divergierten und man konnte sich nicht mehr einigen. Die Gesellschaft war für 20 Monate zerrissen und sie zerbrach zuletzt vor zwei Jahren schlagartig, um sich statt dessen in kleine Gesellschaften der Arbeiter aufzuteilen. Misstrauen, Neid und Eigennutz, all die kleinen zänkischen Leidenschaften haben schon die Fundamente dieser Neuen Gesellschaften unterminiert und es ist vorhersehbar, dass diese Companie nur eine vorübergehende Erscheinung sein wird."
Napoleons Kontinentalsperre bringt zunächst der Genossenschaft durch Spekulationsgeschäfte reiche Gewinne. Dann zerstört eine europaweite Wirtschaftskrise 1805 beinahe den Textilhandel in ganz Europa. Österreich droht 1811 der Staatsbankrott. Über Nacht verlieren die Gebr. Schwarz & Kompanie, wie sie sich in Wien nennt, 10 Millionen Goldfrancs bei ihrer Hausbank. Durch den Bankrott kommt ihr Direktor Georg Schwarz dort in den Schuldturm und stirbt vermutlich dort. Die beginnende Mechanisierung der Textilindustrie in England bereitet der Genossenschaft eine tödliche Konkurrenz, deren Billigprodukte sie selbst von den Märkten im eigenen Land verdrängt. Ambelakias Handelsnetz ist zerrissen.
Darüber hinaus gerät Ambelakia im aufflammenden griechischen Freiheitskampf zwischen die Fronten. Obwohl der Ort niemals von türkischen Truppen eingenommen wird, vertreibt Ali Pascha von Joanina viele Bewohner durch harte Repressionen.
Eine Choleraepidemie wütet danach unter den Zurückgebliebenen. Ambelakia und sein erstes genossenschaftliches Modell geraten aus dem Blickfeld Europas. Die Grundideale einer demokratischen Gesellschaft, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit werden fortan Europa wie unerlöste Gespenster verfolgen und in einseitiger Zuspitzung dieser Trinität durch Weltkriege und Revolutionen ungeheure Menschenopfer verschlingen. Das Gleichgewicht aus demokratischer Herrschaft und erfolgreicher Ökonomie ist bis heute eine ständige Herausforderung für Europa geblieben und noch eine Utopie für viele Länder dieser Welt. Dass in diesem verborgenen Bergnest einst die Wiege der modernen Gesellschaft stand, scheint nicht glaubhaft, wenn nicht eindeutige Beweise, von denen ich einige zitierte, dies belegen könnten.
Einen erneuten leichten Aufschwung nahm der Ort nochmals 1873 mit der Gründung der Elliniko Skolio durch Adamantios Maniaris. Aus dieser Schule gehen wiederum bekannte Geistesgrößen und Politiker hervor. Dann vernichtet ein Erdrutsch das mächtige Gebäude und es bleiben bis heute nur noch Ruinen übrig. Das Geistesleben in Ambelakia ist verwaist und 9/10tel der ehemaligen Bevölkerung emigrieren.

Im 2. Weltkrieg hat die deutsche Wehrmacht darüber hinaus auch große Zerstörungen und Gewalttaten im Tempe-Tal und den umliegenden Ortschaften begangen. Partisanen verübten später an der strategischen Bahnverbindung mehrmals Sabotageanschläge und Überfälle auf Wachposten der Wehrmacht. Grausame Racheaktionen mit Geiselerschießungen waren die Folge. Mehr als 50 Häuser von Ambelakia wurden Opfer durch Brandstiftung deutscher Truppen. Jedoch wurden dort keine Geiseln erschossen, noch wurden die Schwarz-Häuser zerstört.
Nach dem Krieg versank Ambelakia in einen Schlaf des Vergessens. Die Reste der einst prächtigen mehrstöckigen Häuser stehen wie "Wracks von sagenhaften Schiffen, welche an den Untiefen der Zeiten gestrandet sind" (Werner Hellwig) in der idyllischen Landschaft.
Heute versucht Ambelakia aus dem historischen Schatten zu treten und unternimmt einen Neuanfang. Durch die vielfältigen Aktivitäten des Kulturbürgermeisters (Proedros polistikou syllogou) Asterios Vogias angeregt, finden dort jetzt Symposien und Veranstaltungen statt, den Ort kann man inzwischen im Internet besuchen unter www.dimitra.gr/rizari/. Auch werden die Reste der wunderschönen Herrenhäuser nach und nach mithilfe europäischer Hilfsfonds restauriert. Eine bescheidene Tourismusorganisation in den Händen einer Frauenkooperative versucht, den Ort mit günstigen Angeboten für Wanderer attraktiv zu machen. Inzwischen gibt es auch ein kleines Heimatmuseum in einer ehemaligen Textilfabrik. Jedoch zerstören zunehmend Privatsanierungen und Neubauten den Charakter der Häuser und die Struktur des Ortes. Die Bevölkerung ist überaltert, die Jungen ziehen weg in die Stadt oder gehen ins Ausland. Im Ort ist keine sinnvolle und gut bezahlte Arbeit mehr zu bekommen. Der Ort wäre jedoch ein idealer Platz für eine europäische Akademie des Genossenschaftswesens.

Das Modell dieser Syntrophia von Ambelakia wies einen völlig anderen Weg, als gleichmacherische Diktaturen oder ein Raubtierkapitalismus es ausübten, indem es nicht die Ideologie vor die Tat stellte oder die Ökonomie dem Eigennutz auslieferte. Noch heute verblüfft uns dies und gibt uns zu bedenken, dass freie Marktwirtschaft und soziale Gerechtigkeit keine unüberbrückbaren Gegensätze sein müssen. Darüber hinaus lehrt uns die Syntrophia, dass Kunst und Kultur kein Luxus nur für die Reichen und Mächtigen ist, sondern die Grundbedingungen sind für eine freie und brüderliche Gesellschaft. Dies macht die Genossenschaft von Ambelakia so wertvoll für die europäische Kulturgeschichte.

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